Donnerstag, 19. November 2015

Bewerbung: 55+ alte Träume neu leben

Fachkräftemangel und Arbeit für 50-60-jährige Menschen in Deutschland
 
"Nach etwa 200 Bewerbungen habe ich aufgehört zu zählen. So oft habe ich in den vergangenen drei Jahren meinen Lebenslauf und meine Zeugnisse zusammengestellt und sie verschickt.  


Auf offene Stellen, initiativ, Jobmessen, an Bekannte, die sie an ihre Arbeitgeber weitergeleitet haben. Zum Gespräch eingeladen wurde ich trotzdem nie – und der Grund prangt prominent  und unübersehbar auf meinen Unterlagen: Ich bin 62 Jahre alt. Und die Realität ist: Obwohl ich – studierter Ingenieur bin, gibt es in Deutschland faktisch keinen Arbeitsmarkt für Ältere wie mich, wie ich auch aus einschlägigen Statistiken erkennen musste." (Quelle: https://www.xing.com/news/klartext/es-gibt-keinen-arbeitsmarkt-fur-altere-wie-mich-249)

Unter welchen Bedingungen haben qualifizierte über 50-jährige eine Chance auf eine Arbeit?

Es müssen Antworten auf diese Fragen gefunden werden:
  • In welchem Umfeld?
  • In welchem Umfang?
  • Mit welchem finanziellen Rahmen?
  • Zu welchen vertraglichen Bedingungen?
Klar sollte sein:

Ein Umdenken ist für eine Neuorientierung nötig. Wichtig: Ausgetreten Pfade sind zu verlassen. Ein gewisses Maß an Unsicherheit und Risiko ist einzukalkulieren. Begeisterung und ein gutes Durchhaltevermögen ist notwendig. Unterstützer für die Neuorientierung werden benötigt.

Es soll alles so bleiben, wie es ist:

Es liegt an der Art eines Menschen, der lange in bestimmten Bahnen gelaufen ist, der Normen und Vorstellungen lebte, dass ihm gravierende Veränderungen schwer fallen. Ein Umdenken wird wichtig. Nicht mehr des Gleichen, sondern etwas wirklich Neues wird notwendig. Der Bewerber mit 55+ sollte sich selbst verändern und sich den aktuellen Rahmenbedingungen anpassen können. Seine Kenntnisse sind vorhanden, Honorare und Verträge sind verhandelbar.

Potentiale erkennen, deutlich machen und nutzen:

Eine Fachkraft mit 55+ Jahren hat ein enormes Potential an Lebenserfahrung, an fachlichem Wissen und Fähigkeiten. Diese Arbeitnehmer haben in der Regel andere Werte. Ihre Werte gilt es zu erkennen, um diese Potentiale für Unternehmen nutzbar machen zu können.

Das Potential muss aber auch für einen neuen Arbeitgeber sichtbar sein:

Was ist der Mehrwert der Älteren?

Das kann sein: Spezielle fachliche Erfahrungen, mehr Ruhe, mehr Gelassenheit, große Routine, hohe Arbeitsdisziplin, es muss keine KARRIERE mehr gemacht werden, hohe Sachorientierung, der Ältere benötigt in der Regel keinen unbefristeten Job mehr, kann projektbezogen arbeiten, hat Branchenkontakte...

Auch müssen die Vorurteile der Personaler berücksichtigt werden: 

Der oder die lässt sich nichts mehr sagen!
Der oder die ist zu teuer?
Der oder die wird schneller krank?
Der oder die werde ich nicht mehr los?
Der oder die ist alt. Wer alt ist, ist nicht mehr lernfähig!
Der oder die weiss alles besser!
Warum ist der eigentlich arbeitssuchend?
Bei den exzellenten Noten müsste der eigentlich längst mein Chef sein, da kann ja was nicht stimmen!!!

Wie kann man diese Vorurteile ausräumen? 

Man muss sich, über für das Unternehmen riskoarme Formen der Anstellung, Entlohnung und Beschäftigung, Gedanken machen.

Berufliche Neuorientierung:

Was häufig fehlt, ist die Kenntnis über versteckte, nicht genutzte Potentiale, die es zu suchen, zu finden, zu entwickeln und zu verwirklichen, gilt. Auch ist es notwendig, mit den vorhandenen Möglichkeiten zu spielen, sie neu und anders zu kombinieren. Und zu allem brauchen Sie Mut und Geduld!

Alternativen erkennen und in Betracht ziehen:

Hierzu ein Beispiel aus der Praxis:

Neulich war ein ehemaliger Risk-Manager, Alter 60 Jahre aus einer deutschen Großbank bei mir im Coaching. Er wollte sich wieder als Interims-Manager bei Banken bewerben, da er unfreiwillig vorzeitig in "Ruhestand" versetzt wurde, aber sagte, "ich kann doch nicht die ganze Zeit nur Urlaub machen, das ist mir zu langweilig und zu teuer."

Coach: „Was haben Sie denn bis jetzt gemacht?“

Risk-Manager: "Ich habe mir eine Segeljacht gekauft und ich bin 6 Monate auf dem Meer herumgesegelt, Segeln ist meine Leidenschaft. Ich benötige Geld, damit ich mir  meine Segeljacht weiter leisten kann.“

Coach: "Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, Ihren Traum wahr zu machen und mit der Segeljacht Geld zu verdienen, so dass sich die Jacht selbst trägt?"

Risk-Manager: „Darüber habe ich noch nie nachgedacht, ich habe das Segeln immer als "Rentnersegeln" und Urlaub betrachtet!"

Und schon fingen die Augen des 60-jährigen Klienten an zu strahlen, er wurde ganz lebendig. Er begann zu überlegen, wie er das praktisch umsetzen könnte - Vermietungs-, Kurskonzept zur Auslastung des Segelbootes, Finanzplanung, Sparkonzept, Zielgruppe von potentiellen Kunden...

Auf jeden Fall kam der ehemalige Risk-Manager ins Nachdenken und bedankte sich sehr für die Denkanstöße. Er wollte sich auf jeden Fall wieder melden und mitteilen, wie es weiter geht. Ich bin mal gespannt, wofür er sich entscheidet – altes Leben oder alter Traum neues Leben?

Die Zeit hat erweiternd zu dem Thema einen passenden Artikel gebracht:

Vom Berufsanfänger aussortiert

Ältere Kandidaten haben oft den Eindruck, im Bewerbungsverfahren vorschnell aussortiert zu werden. Häufig stimmt das. Denn vielen jungen Personalern fehlt die Erfahrung.

Von Sabine Hildebrandt-Woeckel

http://www.zeit.de/karriere/bewerbung/2015-10/arbeitsmarkt-aeltere-bewerber-einstellung-junge-personaler

Besonders interessant ist auch die Diskussion in den Kommentaren:

http://www.zeit.de/karriere/bewerbung/2015-10/arbeitsmarkt-aeltere-bewerber-einstellung-junge-personaler#comments